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Präzisionsuhren aus Glashütte

Festschrift zum 100. Todestag von Johannes Dürrstein
22.08.1845-07.05.1901

von Bernd Schaarschmidt in Armbanduhren 4/2001

Johannes Dürrstein war zu seiner Zeit zweifelsfrei der größte deutsche Importeur für Schweizer Uhren, so wie er auch in den ersten 20 Jahren seines Dresdner Großhandelsunternehmens die weitaus größte Zahl der Glashütter Uhren in der ganzen Welt verkaufte. Er war außerdem Gründer der Glashütter Uhrenfabrik 'Union'. Dies alles erreichte er in erster Linie durch seinen rühmlichen Fleiß, durch konsequente Selbstdisziplin und durch seine kaufmännische Begabung.

Doch dies zeigt nur die eine Seite seines zielgerichteten und außergewöhnlichen beruflichen Erfolges. Seine wahre Persönlichkeit drückte sich in seiner humanistischen Geisteshaltung aus. Dazu gehörte auch seine Verehrung alles Schönen einschließlich der edlen Kunst der handwerklichen Vollendung von Präzisions-Zeitmessern und ihrer stilvollen Gehäuse. Und ebenso gehörte es zu seiner Person, als Vorbild den Bedürftigen zu helfen und der Allgemeinheit zu dienen.

Diese persönlichen Eigenschaften verliehen ihm von Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts eine Ausnahmestellung in der damaligen Gesellschaft, die noch weit in das 20. Jahrhundert hinein strahlte. Er selbst erfreute sich immer wieder an dem gerade Erreichten, das ihm auch immer wieder neue Impulse verlieh. Jedoch die Früchte seines Lebenswerks konnte er letztlich nicht ernten, denn er verstarb noch im 56. Lebensjahr.

Berufswahl und Selbstständigkeit
In bürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, begann sein beruflicher Werdegang bei der Frankfurter Großhandelsfirma A Ludwig & Fries, wo er seine kaufmännische Lehre absolvierte. Danach war er als Reisender für eine Schweizer Uhrenhandlung tätig und lernte dort die großen und bedeutenden Uhrenhersteller des Landes kennen. Eine frühe Verbindung zum Uhrenfachgeschäft Felsing in Berlin stellte die Weichen für Dürrsteins Weg in die Selbstständigkeit. Es sollte Dresden sein, und diese einmalige Stadt, geprägt durch die Schönheit ihrer barocken Bauwerke fühlte den jungen Dürrstem in einen Gesellschaftskreis, für den er selbst eine Bereicherung darstellte.

Am 19 Januar 1874 gründete er in Dresden die Uhrengroßhandlung Dürrstein & Compagnie. Dürrstem entwickelte einen veritablen Marketingplan - in einer Zeit, als die aufkeimende Industrialisierung sich auf breite Bevölkerungsschichten auszuwirken begann. So stellte er eine Reihe von Reisenden in seiner Firma in, die in einem zugeteilten Gebiet mit einer bestimmten Einwohnerzahl aufsuchten und mit den ansässigen Uhrmachern und Fachgeschäften Lieferverträge abschlossen. Die preiswerte Gebrauchsuhr, für jedermann erschwinglich, wurde überall verlangt und stellte als Massenprodukt das größte Umsatzpotenzial dar. Galt es doch, im neu zusammengeführten Deutschen Reich ohne die vorher herrschende Vielstaaterei mit ihren Zollbeschränkungen und finanziellen Abgaben ein enormes Absatzgebiet zu erschließen. Darüber hinaus kam nun auch noch der weitere deutschsprachige Raum hinzu, wo vor allem in Österreich-Ungarn, Böhmen und sogar in der Schweiz ein Handelsnetz aufgebaut wurde. Dass Dürrstein seine Handelsbeziehungen global erweiterte, war folglich eine reine Formsache. Nach einigen Jahren hatte sein Exportgeschäft so weit expandiert, dass er jährlich über fünfzigtausend Taschenuhren ausführte. Die solchen Stückzahlen entsprechende Zulieferindustrie hatte Dürrstein in der Schweiz gesichert, denn hier kannte er sich bestens aus, da sein beruflicher Werdegang durch dieses Land mitgeprägt worden war. Außerdem sicherten ihm die großen Abnahmemengen seitens der Hersteller auch diverse Zugeständnisse, so zum Beispiel, dass er sein individuelles Firmenemblem in der Taschenuhr (Werk und Gehäuse) anbringen lassen konnte.

Dürrsteins Bedeutung für den Standort Glashütte
Dürrstein handelte noch im Jahre 1874 mit Ferdinand Adolf Lange in Glashütte einen Exklusivvertrag über den Vertrieb seiner Uhren aus. Als alleiniger Grossist, der die Lange'schen Uhren zum Werkabgabepreis verkaufte, brachte er die deutsche Präzisions-Uhr dem Publikum näher. Dürrstein wurden im Gegenzug von Lange 15% Rabatt auf den Werkpreis zugestanden Da aber diese Taschenuhr durch ihren hohen Erstellungspreis nur schleppend und nicht im gewünschten Maße zu verkaufen war, ließ Dürrstein auf eigene Anregung hin eine preiswertere Variante der Glashütter Präzisions-Taschenuhr bei Lange herstellen.

Es handelte sich dabei um die bei allen Uhrenkennern und Sammlern so bekannte DUF - Deutsche Uhren-Fabrikation - Glashütte. Sie war in der Folgezeit die meist hergestellte Uhr und Erfolgsgarant der Firma Lange. Dürrsteins lang gehegter Herzenswunsch aber war die Errichtung einer eigenen Uhrenfabrik in Glashütte. Dort, wo der Präzisionsuhrenbau nur das Beste und das Feinste hervorbrachte, gerade dort wollte Johannes Dürrstein sich mit einer eigenen Manufaktur einbringen, die an dieser Stelle neue Maßstäbe setzen sollte. Sorgfältigste Vorbereitungen, vor allem bei der Wahl der Mitarbeiter ließen bis zum Jahr 1900 unter seiner Leitung eine Fabrik entstehen, die  alle technischen Graduierungen der damals bekannten und geforderten Uhrenhersteller beherrschte. Am 1 Januar 1893 gründete er die Glashütter Uhrenfabrik Union und begann - zunächst in angemieteten Räumen - mit der Produktion. Nach dem Erwerb eines geeigneten Grundstücks an der Hauptstraße in Glashütte wurde im Jahre 1898 mit dem Neubau einer Fabrik begonnen

Der am l. Mai 1899 eingeweihte Neubau der Uhrenfabrik Union Glashütte war so in der Voraussicht geplant, dass er Taschenuhren nur in geringer Qualität herzustellen vermochte. In dieser Absicht sollten 35-40 Mitarbeiter nur die Stückzahlen an Uhren fertigen, die u.a. Dürrstein selbst auf Grund seiner persönlichen Stellung in der Gesellschaft verkaufen konnte. Es wurden verschiedene Uhrenmodelle hergestellt, von der einfachen Präzisions-Taschenuhr über Chronographen, Uhren mit springender Sekunde (seconde morte) Schlagwerk oder Kalenderfunktionen bis hin zu Kombinationen der einzelnen Komplikationen. Auch an äußerst schwierige Aufgaben wie Taschen-Chronometer oder Tourbillons wagte man sich heran. Später kamen Beobachtungs- und Schiffsuhren hinzu.

Noch im Gründungsjahr der Glashütter Uhrenfabrik Union (1893) hatte er die erste in Glashütte terminierte  'Grande Complication' angezeigt.

Seine letzte gieße Anregung im Uhrenbau war wohl die Universaluhr, deren Kompliziertheit gemessen an allen technischen Funktionen dieser Uhr, in Glashütte nie mehr erreicht und schon gar nicht übertroffen wurde. Der Weg dazu begann in der zweiten Hälfte der 90-er Jahre des 19. Jahrhunderts, als Johannes  Dürrstein seinen Langjährigen Mitarbeiter und Prokuristen, Julius Bergter, um die technische Entwicklung einer Uhr ersuchte, welche das bisher erfolgreich gefertigte und verkaufte Kaliber der Grande Complication noch übertreffen sollte.

Die Universaluhr
Julius Bergter konzipierte diese Uhr und gab die Vorgaben an E. Piguet im Vallee de Joux weiter, der das Rohwerk für diese und eine weitere Uhr gleichen Typs herstellen sollte Ein drittes funktionsunfähiges Rohwerk war ebenso im Lieferumfang enthalten. Das Gehäuse zu dieser Uhr bezog man ebenfalls aus der Schweiz über die Dürrstein'sche Niederlassung dort. Die Zeit drängte, denn als die Bestellung von E. Piguet 1899 in Dresden eintraf, blieb nicht mein viel Zeit übrig, diese Uhr zu terminieren, da sie zu einer Fachausstellung in Leipzig im Spätjahr 1900 vorgemerkt war. Nach der Vorstellung in Leipzig verschwand die Uhr wieder aus der Öffentlichkeit, wohl wegen eklatanter Konstruktionsfehler, möglicherweise ein Resultat der kurzen Umsetzungsdauer in der Planung. Unter Julius Bergter wurden Doppelstopper und springende Sekunde sowie die einbezogene blitzende Sekunde (seconde foudroyante - mit Fünftelsekunden-Anzeige) daraufhin dem Werk entnommen und durch eigene Konstruktionen ersetzt.

Warum denn diese Uhr dennoch bis zur Auflösung der Union Ende der 20-er Jahre keinen Käufer fand, mag am hohen Kaufpreis gelegen haben Da die Uhr bei ihrer Vorstellung nicht einwandfrei funktionierte und erst durch tiefgreifende bauliche Veränderung funktionstüchtig gemacht werden musste, dürfte den Interessenten zusätzlich irritiert haben.

Dürrsteins zu früher Tod und seine Folgen
Johannes Dürrstein, der sich selbst nie schonte, litt zeit seines Lebens an einer gesundheitlichen Beeinträchtigung. So war er bereits aufgrund seines Herzleidens am 29. September l889 für den Militärdienst bei der 42. Infantrie-Brigade in Hessen ausgemustert werden. Er verstarb nach längerem Krankenlager am 7. Mai 1901. Sein Bruder Friedrich Dürrstem, seit 1885 Mitinhaber der Firma und als kühler Kaufmann Garant des kommerziellen Erfolges, wurde nun Alleininhaber dieser Firmen

Doch auch ihm war es nur kurze Zelt vergönnt, die Firmengeschicke zu leiten. Am Geburtstag seines Bruders Johannes, am 22 August 1903, erlag er den Folgen mehrerer Schlaganfälle. Seine Witwe, Frau Lina Helene Dürrstein, leitete die Geschäfte weiter.

Noch brachte die Abteilung der Chronometerherstellung der Glashütter Uhrenfabrik Union bedeutende Arbeiten hervor, ihre Beobachtungsuhren und Seechronometer wurden mehrfach von der deutschen Seewarte ausgezeichnet. Diese subtilen Instrumente, deren Finish in der Ausführung des Werkes unübertroffen war, verdankten ihre Erfolge bis 1918 der peinlich genauen Vorbereitung von Julius Bergter und dessen Mitarbeitern.

Die Zeit der Armbanduhr
Mit dem Ende des ersten Weltkriegs setzte die Schweizer Uhrenindustrie mit der Herstellung und Vermarktung von Armbanduhren die Maßstäbe für die Zukunft der tragbaren Zeitmessung. Keiner der traditionell denkenden Uhrenhersteller am Standort Glashütte war auf diese neue Situation eingestellt. Man bemühte sich zunächst unter Verwendung des Damentaschenuhrkalibers, sich der Aufgabe zu stellen, doch die für die Entwicklung verlorenen Jahre - auch durch den Krieg bedingt - ließen sich nicht mehr aufholen. Und unter den katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnissen der 20-er Jahre fanden die teuren Qualitätsprodukte aus Glashütte ohnehin kaum noch Abnehmer.

Die hier gezeigte Armbanduhr wurde noch in kleinen Stückzahlen gefertigt, doch ihr Preis und vor allem die technisch aufwendige Fertigung vereitelten eine weitere Entwicklung. Mit Einsetzen der Weltwirtschaftskrise verschwand die Uhrenfabrik Union, und einige Zeit später auch die Großhandlung Dürrstein & Co.

Dass der Name 'Union Glashütte' heute wieder existiert, ist wohl mehr als nur eine Hommage im nostalgischen Sinne, Die Anknüpfung an überlieferte Qualitätsvorstellungen und ihre kreative Umsetzung in neuzeitliche Technik stellen eine große Herausforderung dar.
Bernd Schaarschmidt

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