Deutsche Hersteller von Militäruhren:>125 Jahre Uhrenwerke Ruhla
Christian Pfeiffer-Belli in 'Alte Uhren und moderne Zeitmessung' August 1988
Als die Bruder Georg und Christian Thiel am 25. September 1862 mit nur einigen Arbeitskräften und einem Gründungskapital von 2452 Talern, eingeschlossen fünf Maschinen im Wert von ganzen 07 Talern. in gemieteten Räumen des Grundstücks Kühlergasse 20 in Ruhla die Arbeit aufnahmen, war keineswegs vorauszusehen, dass sich damit eine grundlegende Veränderung in der Entwicklung der Produktivkräfte Ruhlas anbahnte. Kleine Gewerbebetriebe, in denen wie bei den Gebrüdern Thiel Pfeifenbeschläge gefertigt wurden, gab es in dem damals rund 4000 Einwohner zählenden Ort mehrere. Sie gründeten sich auf das hier seit Jahrhunderten beheimatete Metallhandwerk.
Schon im Mittelalter hatten sich die Waffenschmiede im Tal der Ruhla einen Namen erworben. Aus dieser Zeit ist die Sage vom Schmied von Ruhla überliefert, der den Mut hatte, Landgraf Ludwig II. gegen den das Volk peinigenden Landadel 'hartzuschmieden'. Sicher nicht von ungefähr erwählten ihn die Ruhlaer zum Wahrzeichen ihres Ortes.
Die Konjunktur in der Nachfrage nach eben diesen Pfeifen und Beschlägen nutzten die Brüder Thiel. Bald wurden in der Firma auch andere Kleinmetallartikel produziert, von denen Messingabsatzschoner und Stoßkappen für Kinderschuhe 1871 die ersten ins Gewicht fallenden Auslandsgeschäfte brachten. Man beschäftigte bereits achtzig Arbeiter.
Schon in den ersten Jahren seines Bestehens hatte der Betrieb so viel Gewinn gebracht, dass Georg Thiel 1867 eine eigene Firma gründen und Christian Thiel sich in den damals größten Ruhlaer Betrieb, Bardenheuer. einkaufen konnte. Die sogenannte Gründerzeit (1871-1873) ließ auch den Thiel'schen Betrieb teilnehmen an dem allgemeinen mächtigen Aufschwung der deutschen Wirtschaft. Im Jahre 1873 siedelte der Betrieb in das für 18.250 Thaler erworbene Gelände der Reiß'schen Filzfabrik im Ruhlaer Grund um. Noch heute befindet sieh hier der Stammsitz des Werkes. War bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich mit Muskelkraft gearbeitet worden. konnte nun die Wasserkraft zum Betreiben der Maschinen genutzt werden: der Erbstrom floss mitten durch das Fabrikgelände.
Der erste zaghafte Schritt zur groß-industriellen Fertigung wurde 1874 mit der Kinderspieluhr getan, die aus der Herstellung der Bieruhr hervorging und in großen Stückzahlen vor allem nach England verkauft wurde. Ab 1879 gehend gebaut - durch Aufzug bewegten sich kurzzeitig die Zeiger -, fand sie dann besonders in Amerika reißenden Absatz.
Die Uhrenproduktion, wenn auch zunächst nur von funktionsuntüchtigen Modellen. hatte verheißungsvoll eingesetzt. Das spiegelte sich in der enormen Steigerung des Gesamtumsatzes der Firma von 150.000 Mark im Jahre 1876 auf eine halbe Million Mark im Jahre 1879 wider.
Ende der achtziger Jahre setzte die tatsächliche Profilierung des Thiel'schen Unternehmens zu einem der bedeutenden Uhrenhersteller Deutschlands ein. Das bisher nicht gedeckte Bedürfnis breiter Volksschichten nach einer billigen, aber zuverlässigen Taschenuhr verhieß einen zukunftsträchtigen. weltweiten Markt. 1891 war die Ruhlaer Taschenuhr geboren. Obgleich mit mancherlei Kinderkrankheiten behaftet - wie einem sehr umständlichen Aufzug von 1211 Umdrehungen - und bei Uhrmachern und dem seriösen Uhreneinzelhandel zunächst verpönt. blieb die 'Fearleß' für Jahre konkurrenzlos. Zu Buche für den Verkaufserfolg schlug ihr beispiellos niedriger Ladenpreis von drei Mark.
1897 wurden bereits 4000 Stück pro Tag hergestellt. hauptsächlich für den Export nach Amerika. Eine weiterentwickelte Taschenuhr mit einer Gangdauer von 31] Stunden und einem weitaus gefälligeren Äußeren eroberte sieh schließlich ab 1901 auch den deutschen Markt.
Mit der Konzentration auf die Ehrenherstellung ging die Entwicklung von dafür benötigten Spezialmaschinen und Werkzeugen im eigenen Betrieb einher. War die Uhren- und Maschinenherstellung auch sehr rentabel, ihre Maximalprofite erzielte die Firma Gebrüder Thiel GmbH mit der Produktion von Kriegsmaterial. Bereits während des ersten Weltkrieges beschränkte sich die Produktion des Betriebes fast ausschließlich auf Zeitzünder.
Am Aufschwung der deutschen Rüstungsindustrie nach der Machtergreifung Hitlers nahm der Thiel-Konzern bestehend aus der Gebrüder Thiel GmbH und der 1922 gegründeten Tochtergesellschaft Gebrüder Thiel Seebach GmbH abermals einen wichtigen Platz ein. Die Zahl der Arbeitskräfte wuchs ständig. Am Ende des zweiten Weltkrieges waren fast 10.000 Menschen in das Thiel'sche Kriegsgeschäft eingespannt.
Am 8. April 1945 besetzten amerikanische Truppen die Stadt Ruhla; in den Thiel'schen Betrieben war die Arbeit eingestellt worden. Am 10. Mai wurde die gesamte Belegschaft des Thiel-Konzerns entlassen.
Zum Tag des historischen Neubeginns wurde der 6. Juni 1945. Noch in der ersten Hälfte des Monats Juli wurde die Produktion in Gang gesetzt. Obwohl die Lage katastrophal war - kaum Fertigungsmaterial, wenig oder zeitweise gar keine Energie, ein verwaister und zumeist untergeordneter Maschinenpark und fehlende technische Unterlagen. 1949, im Gründungsjahr der DDR, erreichte die Belegschaft den entscheidenden Leistungsdurchbruch bei der Produktion von Uhren und Maschinen, die höchste Vorkriegsproduktion von 1938 wurde wertmäßig deutlich überboten.
Am 1. Mai 1952 wurde auf Beschluss der Regierung der UdSSR der Betrieb in das Volkseigentum der Deutschen Demokratischen Republik übergeben. Das Produktionssortiment umfasste neben Weckern, hochsteinigen Armbanduhren, Schach-. Auto- und Tischuhren Werkzeugmaschinen, die internationalen Standards gerecht wurden. 1948 war mit der serienmäßigen Herstellung von Armbanduhren mit Schweizer Ankergang und massivem Werkgestell begonnen worden, was für die Ruhlaer Uhrenfertigung eine qualitativ neue Entwicklung bedeutete. Die 16-steinige 'Präzisa' war dafür anschaulicher Beweis. Hatten in den Jahren 1931 bis 1932 Ruhlaer Spezialisten geholfen, die Produktion in der 1. Moskauer Uhrenfabrik in Gang zu bringen, waren nunmehr sowjetische Fachleute zu Lehrmeistern der Ruhlaer Uhrenwerker geworden.
Die angestrebte weitgehende Automatisierung erforderte eine konsequente Sortimentsbeschränkung und die Entwicklung neuer Uhrenmodelle, deren Konstruktion eine rentable Großserienfertigung gestattete und vielfältige Ausstattungsvarianten zuließ. Den ersten Durchbruch bei der Bewältigung dieser Aufgabe brachte die elektrische Armbanduhr Kaliber 25. Die 'Ruhla-Elektric' stellte 1963 ein Spitzenerzeugnis dar, das alle Qualitätsanforderungen erfüllte. Die neu entwickelte Fertigungstechnologie mit einem elektronisch gesteuerten Speichermagazin-Fließband senkte den Arbeitsaufwand um 4ü00 und verkörperte damals wissenschaftlich-technischen Höchststand. Die 1963 in die Produktion überführte Armbanduhr Kaliber 24 wurde im Verlauf der Jahre in der Konstruktion und Fertigung dermaßen vervollkommnet, dass sie aufgrund ihrer Preiswürdigkeit und ihrer zahlreichen Ausstattungsvarianten lange Zeit marktbestimmend bei Stiftankeruhren war. Mehr als einhundert Millionen Uhren dieses Kalibers haben bis 1987 das Werk verlassen.
In den Jahren des Bestehens als volkseigener Betrieb waren noch weitere Probleme substantieller Art gelöst worden. Der gegen die DDR gerichtete Wirtschaftsboykott kapitalistischer Länder hatte die kontinuierliche Produktion nicht nur erschwert, sondern teilweise unmöglich gemacht. Die traditionellen Importe, vor allem von Ausstattungsteilen. blieben zum großen Teil völlig aus.
Dringend benötigte hochproduktive technologische Ausrüstungen standen auf der Embargoliste. Unter größten Anstrengungen wurden eine eigene Zifferblatt- und Gehäusefertigung aufgebaut und Kapazitäten zur Herstellung von Uhrgläsern geschaffen.
Am 1. März 1967 erfolgte der Zusammenschluß der Uhrenfabriken Ruhla, Glashütte und Weimar zu dem VEB Uhrenkombinat Ruhla.