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Deutsche Hersteller von Präzisionsuhren:
Paul Stübner aus Glashütte
 

Von H. J. Kummer Klassik Uhren 6/2000

WENN MAN AN PRÄZISIONSPENDELUHREN AUS GLASHÜTTE DENKT, FÄLLT EINEM ZUERST 'STRASSER & ROHDE' EIN. ABER SCHON VORHER WAREN A. LANGE UND M. GROSSMANN AUF DIESEM GEBIET TÄTIG GEWESEN. NACH 1900 TRETEN NAMEN WIE TRAPP' HOEHNEL UND GOERTZ HINZU. KEINER KONNTE SICH ABER BINNEN KURZEM ALS 'NUMMER ZWEI' POSITIONIEREN WIE PAUL STÜBNER. NICHT UMSONST WAR ER EIN VIERTELJAHRHUNDERT DIE RECHTE HAND VON LUDWIG STRASSER GEWESEN.

Biografie
Paul Conrad Stübner wurde als Sohn eines Tagelöhners am 2. Juni 1860 in Glashütte geboren. Fr hatte vier Brüder; im Alter von sechs Jahren verlor er seinen Vater. Fr durchlebte eine harte Jugendzeit.

Mit 14 Jahren begann er bei dem Steinfasser A. Gollmann, Glashütte, eine Lehre. Nach dem Abschluss leistete er seinen Militärdienst und trat dann bei Strasser & Rohde an. Hier war er 25 Jahre tätig, zunächst als Gehilfe, später als Werkmeister. Es wird berichtet, dass er in der Politur von Zapfen und Wellen und der Lackierung der Pendeluhrplatinen unerreicht war.

1888 heiratete er Linda Just aus Altchemnitz bei Dresden. Das Sprichwort, nachdem der Wunsch nach einem Sohn der Vater vieler Töchter ist. bewahrheitete sich bei ihm: aus der Ehe gingen sieben Töchter hervor. In Glashütte hatten die meisten Einwohner einen Spitznamen, so auch Stübner. Er wurde der 'Mädchen-Stüber' genannt.

1905 macht er sich als Mechaniker selbstständig. Zunächst hatte er seine Werkstatt in seinem Wohnhaus. Das Geschäft entwickelte sich so gut, dass er 1913 ein neues Haus in der Altenburgerstraße beziehen konnte, das auch ausreichenden Platz für vergrößerte Werkstätten bot. Im selben Jahr konnte Stübner seine Silberhochzeit im Kreise seiner großen Familie feiern.

Zwei seiner Töchter brachten Schwiegersöhne ins Haus, die das Talent hatten, die Firma fortzuführen:
- Karl Johann Wehrle aus Eisenbach bei Furtwangen; er besuchte 1905/07 die DUS und arbeitete danach bei C. H. Wolf Glashütte. Er heiratete 1909 die Stübner-Tochter Margitta und war fortan bei seinem Schwiegervater tätig. Ihn zog es aber bald wieder in den Schwarzwald, wo er in Furtwangen die Firma 'J. Wehrle & Söhne' gründete.
- Fritz Schmeißer; er war auch ein DUS-Schüler und ehelichte die Tochter Emma. Paul Stübner setzte große Hoffnungen in ihn. Der Erste Weltkrieg zerstörte seine Pläne: Fritz Schmeißer fiel bereits 1914.

Die jüngste Tochter Ilse (1900 - 1977), die unverheiratet blieb, war Stübner eine treue Stütze. Schon in jungen Jahren kümmerte sie sich um die kaufmännischen Angelegenheiten in der Firma.

1927 war in Glashütte die große Flutkatastrophe; die Müglitz trat über die Ufer und riss viele Häuser weg. Bei Stübner wurde ein Teil der Werkstatt zerstört. 1938 konnte er seine goldene Hochzeit feiern; den Betrieb hatte er inzwischen eingestellt und die Werkstatträume vermietet. Im November 1946 brannte es in seinem Haus; an den Folgen einer Rauchvergiftung verstarb er einige Tage später. Er war 86 Jahre alt geworden.

Stübner war ein in Glashütte hoch angesehener Mann. Er gehörte verschiedenen Vereinen an und stand sowohl der 'Urania' als auch der 'Saxonia' nahe. In den Mitteilungsblättern beider Uhrmacherverbindungen annoncierte er jahrelang.

Ein besonderes Vertrauensverhältnis hatte Stübner zu seinem drei Jahre älteren Bruder Fridolin. Der wurde früh zu einem Bauern gegeben, um der mittellosen Witwe nicht nur die Sorge um ihn abzunehmen, sondern auch seine Mutter und die Brüder mit zu unterstützen. Mit zwölf Jahren kam er nach Glashütte zurück und arbeitete bei Steinfasser A. Gollmann - bei dem später Paul lernte. Mit 15 Jahren begann er eine vierjährige Lehre bei dem Steinmacher G. Kretzschmer. Nach der Gesellenprüfung finden wir ihn auf Wanderschaft beim Reißzeughersteller Richter in Chemnitz, bei Bolex in Esslingen und bei der WMF. Nach der Militärzeit kehrte er nach Glashütte zurück und arbeitete bei Gangmacher Fr. Weicholdt, ab 1886 bei Dürrstein & Comp. 1890 wechselte er zu A. Lange & Söhne. Hier konnte er seine Fähigkeiten voll entfalten und wurde mit den feinsten Arbeiten betraut. Der geniale Uhrmacher hat wesentlich am Aufbau der Chronometerfabrikation mitgewirkt und war bis zu seinem plötzlichen Tod im Jahre 1912 Chefregleur bei Lange. Ihm folgten so bedeutende Fachleute wie L. Jensen, G. Gerstenberger und P. Thiele-mann. Mit diesen stand Paul Stübner in enger Verbindung. Leider hatte sieh das Verhältnis zwischen Paul und Fridolin in den letzten Jahren getrübt.

Eine lebenslange Freundschaft verband Stübner auch mit Hermann Goertz. Dieser russlanddeutsehe Uhrmacher kam 1948 nach Glashütte und wohnte bis weit in die zwanziger Jahre im Haus von Stübner. Er arbeitete mit in der Werkstatt und hat das ohnehin schon hohe Niveau seiner Arbeit hier noch gesteigert. Die von ihm gefertigte 'Kunstuhr', die in Glashütte zu bewundern ist, sowie seine Sekundenpendeluhren mit Schwerkrafthemmung legen ein beredetes Zeugnis seiner Kunst ab.

Firmengründung und -entwicklung
Was Stübner genau veranlasst hatte, sich nach 25-jähriger Tätigkeit in verantwortlicher Position bei Strasser & Rohde selbstständig zu machen, ist nur zu vermuten. Sicher hat es etwas mit der steigenden Nachfrage nach Chronometern und -rohwerken zu tun. Dank der Vorarbeit der 'Vereinigung der Chronometrie' - Strasser war einer der Protagonisten - waren die Bestimmungen für Prüfung und Ankauf von Schiffschronometern 'deutschen Ursprungs' durch die Kaiserliche Marine verschärft worden. Das führte dazu, dass der Import englischer und schweizerischer Instrumente zurückging. Der Bedarf deutscher Chronometer wurde nun durch Lange & Söhne und Strasser & Rohde gedeckt. Lange lieferte nur fertige Instrumente, während Strasser & Rohde auch Rohwerke bereitstellten. Da die norddeutschen Chronometermacher quasi nur eine Quelle für deutsche Rohwerke hatten, trachtete man danach, einen zweiten Lieferanten zu finden. Strasser beklagte sich, dass die Hamburger Firmen Stübner angestiftet hätten, sich selbstständig zu machen. Da Strasser keinen Vertrag mit Stübner hatte, konnte dieser kurzfristig aussteigen, was Strasser in die Bredouille brachte. Hierüber beklagte er sich bei seinem Freund, Kommerzialrat Arthur Junghans, der ihm ein Privatissimum über vertragliche Bindungen von leitenden Mitarbeitern erteilte. Ausführlich ist diese Episode in meinem Buch über Strasser nachgezeichnet. Stübner meldete jedenfalls sein Gewerbe am 5. Juli 1905 an. Am 5. Februar 1909 erhielt er die Befugnis zur Anleitung von Lehrlingen und am 25. März im gleichen Jahr eine Bescheinigung über die Teilnahme an einem theoretischen Meisterkurs.

Seine erste Preisliste sehen wir in Abb. 4. Sie erinnert sehr an die von Strasser & Rohde; auch sein Lieferprogramm ist praktisch identisch. Dank seiner qualitätsvollen Arbeit und der Kenntnis der Kundenstruktur von Strasser & Rohde, konnte er relativ schnell einen eigenen Abnehmerstamm aufbauen. Der Schwerpunkt lag anfangs bei den Pendeluhren und besonders bei Chronometerwerken; hier überflügelte er bald seinen alten Arbeitgeber.

Wie Strasser bot auch Stübner Einzelteile zu Pendeluhren und Gangmodellen an.

Anhand des vorhandenen 'Inventur- und Bilanzbuches' und von Adressenlisten etc. ist es jedoch möglich, Stübner Aktivitäten nachzuvollziehen. Danach scheint er einen großen Teil seiner Produkte - sowohl Halb- als auch Fertigware - nicht nur unter seinen Namen verkauft zu haben. Eine ganze Reihe von Stücken ist weder signiert, noch mit einer Werknummer versehen, wie man es auch bei Strasser & Rohde findet.

Die positive Geschäftsentwicklung erlaubte 1913 den Umzug in ein neues Wohnhaus mit geräumigen Werkstätten von 144 Quadratmetern. Die gesamte Belegschaft ist zu sehen (ca. 1917/18).

Dank der Inventare ist bekannt, dass für etwa 25 Personen Arbeitsplätze vorhanden waren. Stübner verfügte über folgende Ausstattung: zwölf Prismendrehbänke mit Zubehör, drei Patronendrehbänke, eine Fräsmaschine mit Einrichtung zum Selbstgang, eine Zahnstangenschneidmaschine, zwei Schneckenradschneidmaschinen, je eine Revolver- und Leitspindeldrehbank, eine Horizontalfräsmaschine, mehrere Säulen- und Tischbohrmaschinen, ein Trieb- und Räderfräsautomat, eine Triebschleifmaschine, ein Schraubenpolierstuhl, fünf Elektromotoren von ½ bis 3 PS, eine Feldschmiede und 20 Schraubstöcke 'Boley'.

Im Ersten Weltkrieg war Stübners Produktion stark auf kriegswichtige Dinge ausgerichtet. Nach 1918 sank die Zahl der Beschäftigten; 1922 waren nur neun Arbeiter tätig. Allmählich nahm die Zahl wieder zu. Das Produktionsprogramm im Jahr 1928 ist aus der Anzeige im Saxonia-Heft 35 ersichtlich . 1936 stellte Paul Stübner seinen Geschäftsbetrieb altershalber ein, er arbeitet jedoch nebenberuflich für Lange & Söhne weiter, wie aus einem Schreiben an den Bürgermeister von Glashütte zu entnehmen ist. Handelsgerichtlich wurde die Firma Paul Stübner jedoch erst am 22. September 1942 gelöscht.

Die Geschäftsräume wurden an eine Firma E. P. Röder, Feinmechanik verpachtet. Im September 1945 wurde deren Maschinenpark als Reparation nach Russland abtransportiert. Danach wurden die Räume an C. A. Wagner vermietet.

1946 versuchte ein DUS-Absolvent namens Georg Hoffmann die Firma Stübner zu revitalisieren. Durch den Brand in Stübners Haus und dessen Tod kam es aber nicht mehr zu einem entsprechenden Vertrag. Hoffmann verließ Glashütte und machte sich in Düsseldorf selbstständig. In einem zeitgenössischen Prospekt bot er Präzisionspendeluhren, Werkzeuge und Kleinstwerkzeugmaschinen an; er nannte seine Firma 'Paul Stübner vorm. Glashütte i. Sa. Georg Hoffmann'. Dazu hatte er keine Legitimation. Später findet man ein ähnliches Prospekt über 'Glashütter Astronomische Sekunden-Pendeluhren - Original Fabrikat', es wird ausgeführt, '... dass der Glashütter Originalbetrieb zeitbedingt nach Karlsruhe verlagert wurde..'. Immerhin wird der Name Paul Stübner nicht mehr erwähnt. Offenbar konnte sich die Firma am Markt nicht behaupten. 1954 wird das brandgeschädigte Haus Stübners an die Firma Zumpe & Kliemt - Feinmechanik verkauft. 1976 ging die Firma in 'Volkseigentum' über und nannte sich nun VEB Mess- und Regeltechnik, Glashütte.

1990 Erwarb die Firma 'Heizungs- und Sanitärtechnik GmbH' das Anwesen. Ab 1997 ist es Sitz der Firma 'Nomos', die Armbanduhren anbietet.

Das Produktionsprogramm der Chronometer
Bis zur Jahrhundertwende hatten mit Ausnahme von Kittel, Grossmann und Lange & Söhne alle deutschen Chronometermacher ihre Rohwerke aus dem Ausland - zumeist aus England - bezogen. Durch die Aktivitäten des 1899 gegründeten 'Vereins für Chronometrie' wurden die deutschen Autarkiebestrebungen stufenweise umgesetzt, sodass ab 1912 nur noch 'Chronometer rein deutschen Ursprungs' zu den Prüfungen der Deutschen Seewarte zugelassen wurden. Strasser hatte - als Mitglied des Vereins und des Gutachterausschusses an der DS - Pionierarbeit geleistet, indem er ab 1900 die Rohwerkeproduktion aufnahm und bis 1906 92 Stück herstellte. Er lieferte u.a. an Lange & Söhne - diese fertigten ihre Chronometer auf Basis eigener Rohwerke, kauften bei Bedarf aber auch zu - Jensen, Bröcking, Liedecke, Schuchmann und Eschholz. Einige Chronometer vollendete Strasser aber auch, die an der Seewarte geprüft wurden und gute Ergebnisse und Preise erbrachten. Dieser Abschnitt der deutschen Chronometriegeschiehte wird in der Literaturstelle (2) ausführlich behandelt.

Stübner begann also mit seiner Rohwerkeproduktion schon 1905 und belieferte dieselbe Klientel wie Strasser. In Norddeutschland war man froh, nicht nur auf eine Lieferquelle aus Deutschland angewiesen zu sein. In der Folge übernahm Stübner praktisch das ganze Rohwerkegeschäft von Strasser; dieser dürfte bereits vor dem Ersten Weltkrieg seine Rohwerkeproduktion eingestellt haben.
Stübner belieferte folgende Firmen:
- Chronometerwerke, Hamburg - bis zu deren Produktionsaufnahme, die einige Jahre später erfolgte
- Deutsche Uhrmacherschule, Glashütte - von den 69 an der DUS fertiggestellten Marinechronometer dürfte etwas weniger als die Hälfte von Stübner geliefert worden sein
- Ehrlich, Bremerhaven
- Jensen, Glashütte
- Gerstenberger, Glashütte
- Kurtz, Münster
- Lange & Söhne,
- Liedecke.
- Löbner, Berlin
- Ludolph, Bremerhaven
- Pavlicek, Hamburg
- Prell, Gera
- Raabe, Glashütte
- Schmidt, Nordenham
- Schuchmann, Wilhelmshaven
- Thielemann, Glashütte
- Tietz, Kiel
- Wiegand, Peine

Einzelne Rohwerke wurden auch an ehemalige DUS-Schüler und andere Uhrmacher verkauft, die z. T. Lange nach ihrer Lehrzeit ihr eigenen Chronometer fertigen wollten.

Ein treuer Kunde, der bis zum Ende der Geschäftstätigkeit Stübners Rohwerke bezog, war Gustav Gerstenberger. Wie er mir persönlich einmal berichtete, hat er etwa 200 Chronometer fertiggestellt. Bei der überwiegenden Zahl handelte es sieh dabei um seine Spezialität, das ,,Tischchronometer" mit Earnshaw Hemmung. Hier gab es zwei Varianten: mit Sekunden- und Halbsekundensprung. Dieser Zeitmesser war schon Anfang der zwanziger Jahre so berühmt, dass er als Motiv eines der ,,Notgeldscheine" der Stadt Glashütte Verwendung fand. Gerstenberger berichtet, dass Stübner auch Rohwerke für Taschenchronometer und Deckuhren lieferte. So dürften die wenigen bekannten größerformatigen Deckuhren seines Bruders Fridolin auf seinen Rohwerken basieren.

Seine Rohwerke konnte man in verschiedenen Vollendungsgraden beziehen; die höchste Stufe war 'In Messinggehäuse mit kompl. kardanischen Aufhängung, fertig bis zur Reglage', siehe Briefbogen von ca. 1911; hier ist das vollständige Lieferprogramm aufgeführt.

Über die Zahl der von Stübner hergestellten Marinechronometerrohwerke mit dem um diese Zeit allgemein üblichen Kaliber 100 kann man nur spekulieren; ich würde sie zwischen 300 und 400 ansiedeln.

Stübner bot auch von ihm vollendete und reglierte Marinechronometer an, 'auf Wunsch mit Gangzeugnis der kaiserl. Seewarte'. Offenbar wurde diese Möglichkeit nicht wahrgenommen, denn es wurde kein mit 'Paul Stübner' signiertes Chronometer in Hamburg geprüft. Bisher ist mir nur ein fertiges Marinechronometer von Stübner bekannt. Es wurde bei Klöter am 3 August 1986 versteigert und trägt die Werknummer 73. In den Inventurverzeichnissen der Jahre 1921 bis 1935 taucht Jahr für Jahr ein 'Chronometer kompl. mit Kasten' auf, das offenbar nicht verkauft wurde, von dem wir die Nummer nicht kennen und auch nicht dessen Verbleib. Es ist zu vermuten, dass die Zahl dieser Chronometer klein ist und unter zehn Stück liegt. Es wäre interessant, ein solches Instrument zu inspizieren und Vergleiche mit Produkten anderer Chronometermacher auf Basis eines Stübner-Rohwerkes anzustellen. Das selbe trifft auf die Strasserschen Produkte zu. Auch ist mir nicht bekannt, wer die Stübner-Chronometer regliert hat. War es Vetterlein oder Gerstenberger? An seinen Bruder Fridolin wird man wohl nicht denken dürfen; das hätte sich mit dessen Funktion bei Lange nicht vertragen.

Abb. zeigen ein Marinechronometer, das an der DUS 1932 von dem dänischen Schüler Viggo Andersen aus einem Stübner-Rohwerk fertiggestellt wurde. Die Schulnummer lautet 3788. Das Rohwerk findet sieh in den Inventarlisten und wurde an die DUS geliefert. Andersen war derSohn des Inhabers der renommierten Chronometerfirma 'Carl Ranch Nachf.' in Kopenhagen. Zu dieser Zeit war L. Jensen, der nach dem Ersten Weltkrieg Glashütte verlassen hatte, Werkstattchef bei Ranch. Er hatte den Anstoß gegeben, den jungen Uhrmachergesellen Viggo nach Glashütte in die Klasse seines alten Freundes Helwig zu geben. Das Chronometer weist einen hohen Vollendungsgrad auf. In der Platine befindet sieh ein dreieckiger Ausschnitt zur Beobachtung der Eingriffstiefe. Außer der Unruhachse laufen Gangrad- und Sekundenradwelle auf Steinen, die in geschraubten Chatons mit Decksteinen gefasst sind. Die Gangfeder ist als seitlich angebrachte Streifenfeder ausgebildet. Helwig - der wie manch anderer DUS-Schüler vor dem Ersten Weltkrieg als Chronometermacher bei den Chronometerwerken in Hamburg gearbeitet hatte - ließ gerne diese Variante von seinen Schülern anfertigen. Auch die Ruhebegrenzung ist aufwendig gearbeitet. Schließlich sind alle Polituren so ausgeführt, dass sie der kritischen Beurteilung des Triumvirats - Helwig, Jensen und Andersen sen., der selbst ein Chronometermacher war -stand hielten. Viggo kehrte 1932 nach Kopenhagen zurück und übernahm das väterliche Geschäft. Neben einem guten Zeugnis hatte er zwei Buchpreise mit einer Widmung von Dr. Giebel mit nach Hause gebracht. Die Chronometerkästen wurden von A. Gurieke, und nach dessen Tod von seinem Mitarbeiter und Nachfolger Hartmann, geliefert. Diese arbeiteten auch für die anderen Glashütter Werkstätten. Beide Namen finden sich über die Jahre hin im Hauptbuch. In der Familie hat sieh ein schöner Gurieke-Kasten für einen Beobachtungschronometer mit elektrischen Kontakten erhalten. Es ist zu vermuten, dass Stübner auch solche Stücke, also ohne kardanische Aufhängung, gefertigt hat.

Präzisionspendeluhren
Wie aus der ersten Preisliste von 1905 ersichtlich ist, stellte Stübner seine Pendeluhren in drei Qualitäten her; daneben für Observatorien solche mit einer 'Federhemmung'. Dabei handelte es sieh um die Strasser-Hemmung. In seiner nächsten Liste von ca. 1912 sind nur noch zwei Qualitäten aufgeführt; die dritte Stufe entfiel.

Die früheste mir bekannte Pendeluhr wurde 1905 hergestellt und an einen sächsischen Industriellen geliefert, der sieh auch das Herrenzimmer im selben Stil und derselben Holzart (Nussbaum) fertigen ließ. Sie entspricht der II. Qualität. Die Uhr hat Stunden- und Minutenzeiger aus der Mitte und das Sekundenzifferblatt ist unter der '12' angeordnet - wie man es auch bei frühen Strasser & Rohde-Uhren findet. Es ist signiert: P. Stübner, Glashütte/Sa. Eine Werknummer ist nicht eingeschlagen, jedoch wurde das Riefler-K-Pendel Nr. 555 am 27. Oktober 1905 geliefert. Nicht jedoch an Stübner, sondern an den Käufer direkt .

Zur Nummerierung der Stübner Uhren gibt es, nachdem keine Verkaufslisten mit entsprechenden Einzelheiten existieren, nur Anhaltspunkte aus Querinformationen, abgesehen von den seltenen Fällen, wo sich Rechnungen oder entsprechender Briefwechsel erhalten haben. Ich vermute, dass Stübner seine Uhren durchlaufend nummeriert hat, egal, ob es sieh um Chronometer, Pendeluhren oder andere Zeitmesser handelte. Offen bleibt, ob hierin auch die nicht mit Werknummern bzw. einer Signatur versehenen Stücke eingeschlossen sind, was ich jedoch annehme. Ich habe nämlich keine Nummer doppelt gefunden.

Die früheste Werknummer ist 73 (Chronometer), die späteste 888 (Feuerschiff-Uhr); für Pendeluhren: Nr. 114 bzw. 876. Eine Pendeluhr mit Strasser-Hemmung ohne Werknummer, jedoch mit der ovalen Stübner Punze auf der Platine und einer Zifferblattsignatur: 'Wilh. Rößle, Ulm a. d. Donau'. Durch das Riefler-K-Pendel Nr. 969, das am 30. Oktober 1907 an Stübner geliefert wurde, ist die Uhr zu datieren.

Eine weitere Pendeluhr 1. Werkqualität hat ebenfalls die Stübner-Punze, aber keine Werknummer und ist auf dem Zifferblatt signiert: 'Friedr. Marcks, Rostock'. Das Riefler J- Pendel Nr. 2259 wurde am 20. Februar 1919 an Stübner geliefert.

Stübner verwendet in der Regel 12er-Triebe. Die Platinenstärke liegt mit 3,9 Millimetern ähnlich wie bei Strasser & Rohde-Uhren. Abb. zeigt die Nr. 523, 1. Qualität, im Mahagoni-Rundkopf. Strasser-Pendel, Typ 12, ca. 1925.

Laut Preisliste bot Stübner anfangs Zink-, Quecksilber-, Holz- und Nickelstahl-Kompensationspendel in zwei Qualitäten von Riefler an. Es wird in der Anfangszeit so gewesen sein, dass die Uhren mit einem der drei erwähnten Pendel geliefert und erst später durch ein Riefler Pendel ersetzt wurde. Erst in der zweiten Preisliste ist erwähnt, dass 'nur Riefler-Kompensationspendel' verwendet werden. Riefler hat von 1905 bis 1928 insgesamt 69 Pendel an Stübner geliefert, die sieh folgendermaßen aufteilen:
K  -24
J   - 29
Jsch - 5
J mit Aneriod
N  -10

39 entfallen auf den Zeitraum von 1905 bis 1920. Es ist verständlich, dass Stübner in der Anfangszeit - nach dem Ausscheiden bei Strasser & Rohde - davon Abstand nahm, Strasser-Pendel zu verwende. Das änderte sich erst nach dem Tode Strassers 1917 und dem Verkauf der Firma an Kreis, Berlin. Von da ab wurde auch das Strasser-Pendel Typ 12 eingesetzt, nach 1928 sogar ausschließlich.

Auch die verwendeten Pendelanregungen und Werkstuhltypen sind auf den verschiedenen Abbildungen zu erkennen und weisen eine Parallelität zu Strasser & Rohde auf. Eine Spezialität im Pendeluhrenbau stellen seine Halbsekunden-Felduhren dar. Bisher kannte man diesen Typ nur von Strasser & Rohde und Max Richter, Berlin, der auch solche Uhren unter seinen Namen anbot, sie jedoch von Strasser bezog.

Die Uhr Nr. 810 stellt eine solche Seltenheit dar, die zudem noch mit allen Einzelheiten des Erwerbs dokumentiert ist. Nach einem umfangreichen Schriftwechsel wurde sie mit Brief vom 7. Mai 1928 in Nota genommen. Empfänger war der Astronom Max Wolf von der Landessternwarte Königstuhl-Heidelberg. Das Riefler-N-Pendel hat die Nummer 1959. Unterschrieben wurde der Brief von Ilse Stübner, der jüngsten Tochter Paul Stübners. Die Uhr befindet sich heute im Museum für Arbeit und Technik in Mannheim. Wie die Uhren Strasser'scher Provenienz weist sie einen gestürzten Graham Anker auf, das Eichengehäuse ist jedoch nicht mit Kupferblech beschlagen. Wenn man diese Uhr betrachtet, dann ist unverkennbar, dass Stübner auch die frühen Felduhren dieses Typs als Werkmeister bei Strasser & Rohde gefertigt hat. Näheres siehe Literaturstelle [21.

Kürzlich hat ein niederländisches Autorenpaar in dem Jahrbuch 2000 der 'Deutschen Gesellschaft für Chronometrie' eine ausführliche Dokumentation einer solchen Uhr veröffentlicht. Stübner hat insgesamt zehn Halbsekundenpendel vom Typ N bezogen, das erste bereits 1911, das letzte 1928. In den Inventarlisten finden sich nach 1928 mehrfach solche N-Pendel. Es ist daher anzunehmen, dass nicht alle in solche Pendeluhren eingesetzt wurden.

Weltzeituhren
Das scheint eine ausgesprochene Spezialität Stübners gewesen zu sein. Von anderen Firmen aus Glashütte ist mir derartiges nicht bekannt. Abb. 15 zeigt einen Artikel aus der 'Deutschen Uhrmacherzeitung' von 4912. Die Firma Simon war ein guter Kunde Stübners. Über den Verbleib der Uhr ist nichts bekannt. Eine weitere Uhr befindet sich im Uhrenmuseum Glashütte. Sie hat eine Ankerhemmung. In der Inventurliste von 1924 ist eine 'Weltuhr in Arbeit' erwähnt. 1934 wird der Firma Strasser & Rohde eine Weltuhr angeboten. Möglicherweise handelt es sich um diese Uhr.

Sonderkonstruktionen
Wie aus dem vorgestellten Briefbogen ersichtlich ist bot Stübner eine Vielzahl von Lauf-, Registrierwerken, einfachen und komplizierten Schaltuhren, Lotuhren, Schussuhren für Webereien etc. an. In vielen Fällen wird es sich um Werke gehandelt haben, die als Bestandteil in größere Einheiten eingebaut sind. Meist fallen sie jedoch durch ihre solide Konstruktion und saubere Arbeit auf.

Abb. zeigt ein Laufwerk bei abgenommener Platine. Es ist mit einem Fliehkraftregler versehen, hat eine Gangdauer von drei Stunden und zeichnet sieh durch einen bemerkenswerten Gleichlauf aus. Es diente der Nachführung eines astronomischen Fernrohrs. Eine besondere Spezialität stellen Stübners Funkfeuer-Kontaktuhren dar. Sie waren für den Einsatz auf Feuerschiffen konzipiert, hatten eine Ankerhemmung und eine Gangdauer von acht Tagen. Es gab Ausführungen mit bis zu zwölf Kontakten zur Steuerung von Lichtsignalen. Nummernmäßig sind die Uhren 814, 851, 883 und 888 bekannt. Letztere wurde im November 1999 bei Dr. Crott/Muser versteigert. Sie dürfte in den zwanziger Jahren geliefert worden sein. Eine Funktionsbeschreibung findet sich im 'Herkner' [3]. 1924 befand sich bei Stübner auch ein 'Koinzidenzsignalgeber'. in Arbeit. Das dürfte für die Abgabe eines Rundfunk-Zeitsignals bestimmt gewesen sein.

Auf den Abb. ist das Werk einer Hauptsignaluhr von Stübner zu sehen. U. a. ist das Schaltrad und die Magnetauslösung zu erkennen. Welchem Zweck der Mechanismus diente, ist mir nicht bekannt. Bestechend ist die qualitätsvolle Arbeit. Immer wieder tauchen in den Verzeichnissen Gangmodelle und Einzelteile hierzu auf. Ich vermute, dass der überwiegende Teil von Fourniturenhandlungen wie Flume und Jacob übernommen wurde, die sie als 'Glashütter Produkt', jedoch ohne Nennung des Lieferanten, anboten. Auch finden sich Einträge wie elf Anker, roh, fünf Ankergänge. Wahrscheinlich hat Stübner auch an die einheimischen Firmen geliefert. Er stand mit allen Firmen, ob es sich um Lange & Söhne, Union, Präzisionsuhrenfabrik, Mühle & Sohn, Assmann, Estler, Renner oder Liwos in Geschäftsverbindung. Natürlich auch mit den Spezialisten für Zeiger (Gläser), Gravuren (Gessner, später dessen Sohn), Unruhen (Griesbach), Unruhen (Griesbach), Uhrkästen (Guricke, später Hartmann), Gänge (Weicholdt).

Lieferungen an uhrenfremde Industrien
Eine Vielzahl von Teilen wie Zahnstangen, Kegelräder, Schrauben, Rollen, Schnecken, Räder, Triebe etc. wurden an folgende bekannte Firmen geliefert:
- AEG, Bosch (Elektro)
- Mercedes (Büro- und Rechenmaschinen)
- National (Autohersteller)
- Kreidler (Motorräder)
- Alexanderwerk (Maschinen)
- Lingner-Werke (Kosmetik; Marke 'Odol')
- Diamant (Schreibmaschinen)
- Maihak (Maschinenfabrik, Torpedoherstellung)
- Askania (früher Bamberg, astronomische Geräte)
- Liesegang (Foto, optische Geräte)

Darüber hinaus zählten zu Stübners Kunden mehrere Dutzend Firmen, die es heute gar nicht mehr gibt, oder die nur regionale Bedeutung hatten. Interessante Geschäftsverbindungen gab es noch zu den Marinewerften in Kiel und Wilhelmshaven, der Versuchsanstalt für Luftschifffahrt in Hamburg, und der Sternwarte Hamburg-Bergedorf. Die Aufträge für die Rüstungsindustrie im Ersten Weltkrieg liefen über die in Glashütte ansässige 'Kriegs-Industrie-Zentrale'. Sie wurde nach 1918 in die 'Industrie-Zentrale' umgewandelt. Chef der beiden Institutionen war der Glashütter Bürgermeister Opitz. Ihm wurde die verfehlte Industriepolitik in der Nachkriegszeit angelastet, was zu seiner Entlassung führte.

Handelsgeschäfte
Wie auch in anderen Firmen üblich bestritt Stübner - zumindest in der Zeit von 1918 bis zum Ende der Geschäftstätigkeit - zwischen zehn und 15 Prozent des Umsatzes mit zugekaufter Ware. Die Art der Produkte wird jedoch nicht angegeben. Zu vermuten ist z.B., dass mehrfach angebotene Tertienuhren nicht selbst produziert, sondern von Strasser & Rohde bezogen wurden.

Zusammenfassung
Trotz lückenhafter Unterlagen, vor allen Dingen dem Fehlen von detaillierten Verkaufslisten, konnte die industrielle Tätigkeit Stübners hinreichend sichtbar gemacht werden. Dabei überraschte mich selbst sein vielseitig gestaltetes Oeuvre, das ich bei Beginn meiner Recherche so nicht erwartet hatte.

Paul Stübner hat den Ruf seiner Vaterstadt in die Welt hinaus getragen; er hatte Kunden in ganz Europa und Übersee. Noch heute hat sein Name nicht nur in Glashütte einen guten Klang. Ich beabsichtige, ein Werknummernverzeichnis aller bekannten Stübner-Arbeiten - ähnlich dem für Strasser & Rohde - zu erstellen. Daher bin ich für Hinweise und Ergänzungen zu diesem Thema, insbesondere Mitteilungen über Werknummern, dankbar. Alle Angaben werden streng vertraulich behandelt.

Danke sagen möchte ich zuvörderst den Stübner Nachfahren Frau Arndt und den Herren Schmeißer und Wehrle, sodann H. Barth, H. Besser, H. Dittrich, G. Horn, K. Langer, 5. Muser, D. Riefler, R. Reichel und E. Spindler.

Literatur:
1) H. J. Kummer: Hermann Goertz - Präzisionsuhrmacher und Kosmopolit, Klassik Uhren 1/97
2) H. J. Kummer, Ludwig Strasser - ein Uhrenfachmann aus Glashütte, Callwey-Verlag, 1994
3) K. Herkner: Glashütte und seine Uhren, Eigenverlag, 1978

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